Schlechte Bewertungen im Internet. Ein Drama in 3 Akten.

Schlechte Bewertungen im Internet. Ein Drama in 3 Akten.

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Prolog

Machen wir uns nix vor. Wir behandeln hier ein Thema, welches mehr „Experten“ hervorgebracht hat als Bundestrainer in einem WM-Jahr. Ob spezialisierte Advokaten oder frisch gebackene Universitätsabsolventen, die sich zusammentun und eine Social Media Agentur gründen.  Jeder, aber auch absolut jeder hat eine Meinung zu diesem Thema und beansprucht die Deutungshoheit für sich, die er sich teuer bezahlen lassen will. Hier eine Geschichte zu diesem Thema in 3 Akten.

Akt I

Alles beginnt damit, dass sie realisiert haben, sie müssen sich dem digitalen Zeitalter anpassen. Produkte und Dienstleistungen präsentiert oder bietet man heutzutage im World Wide Web an.

Egal, ob Restaurant, Hotel oder Sneaker Vertrieb. Egal, ob gehobene Gastronomie oder die versunkene Dönerbude mit Helal Service. Früher oder später muss jeder, der eine Dienstleistung oder Waren anbietet, diese im Internet vermarkten und sich und sein Angebot kritischen Betrachtern offenbaren.

Also, so der allgemeine Volksmund, muss ein Profil auf allen Social Media Kanälen her. Facebook, Twitter, Instagram und Google+. Nachdem sie das geschafft haben oder geschafft haben lassen, werden sie feststellen, dass es noch weitere Plattformen gibt. Aber keine Sorge: Die Agentur ihres Vertrauens hat für jede Plattform ein passendes und günstiges Paket für sie. Ganz schön blöd müsste man sein, da nicht zuzuschlagen.

Fotos von allen Mitarbeitern und Angeboten werden von professionellen Fotografen geschossen und mit speziellen Filtern versehen, um den Wiedererkennungswert zu steigern und sich, wie unzählige Berater empfehlen, von der Konkurrenz abzuheben.

Die Reichweite wird mit akribischen Marketingkampagnen erweitert, bis wirklich jeder im Netz über ihr Produkt Bescheid weiß, ob er will oder nicht. Präsentiert wird ihr Unternehmen dabei stets in bescheidenen Superlativen. „Kundenfreundlich“, „Menschlich“, „Bescheiden“ sind dabei Rechtsattribute die groß geschrieben werden. „Ums Geld geht es uns hier nicht, hier zählt der Kunde“, werden sie der CEO des Unternehmens unter einem Foto zitiert, auf dem sie freudig lächelnd einen Kunden im Arm hält und dabei ihren Daumen nach oben strecken.

Zum Glück gibt es Internet. Hier kann ich sein, hier bin ich Mensch. Ein perfektes Marketing Konzept. Wer soll das schon „haten“, heißt es im heutigen jugenddeutsch.

Ende Akt I

 

Prolog Akt II

Negative Bewertungen im Internet führen zu direkten Umsetzeinbußen für Unternehmen und Selbstständige. Mit dieser Expertise werden sie sich fortan beschäftigen, ob sie wollen oder nicht. Denn wenn sie Akt I überstanden haben und die Sonnenseite des Internetmarketings für eine kurze Zeit genießen konnten, wartet die Kehrseite dieser neuen Welt nicht mit orientalischen Sommerabenden auf sie. Sie erwartet eine Eiseskälte. Aber keine Angst: Auch hier haben unzählige Experten, die in Akt 2 eine Renaissance ihrer Daseinsberechtigung feiern, eine passende Strategie und ein entsprechend günstiges Paket.

Akt II

„Sie tragen ständig Waffen mit sich herum, mit denen Sie einen riesen Skandal auslösen können – Sie nennen es liebevoll Smartphone.“ Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler

Ob sie wollen oder nicht. Ihre heile Welt und die Anfangseuphorie wird bald heimgesucht von einer Spezies, die das Web 2.0 hervorgebracht hat und das Web 3.0 zu einer sehr machtvollen Gattung weiterentwickelt hat. Eine Spezies, die mit einer Waffe ausgestattet ist, ihr Unternehmen in den Ruin zu treiben.

Früher oder später wird es dazu kommen, dass sie sich mit positiven sowie negativen Kommentaren und Rezensionen über ihr Produkt auseinandersetzen müssen. Wer gute Erfahrungen mit einer Dienstleistung oder einem Produkt macht, wird sich in der Regel – nicht verschwindend gering – aber eher selten einfach so die Mühe machen und einen super positiven Kommentar hinterlassen, der authentisch wirkt.

Ganz anders ist das dagegen bei Menschen, die negative – respektive aus ihrer Sicht – eher unschöne  Erfahrungen mit einer von ihnen in Anspruch genommenen Dienstleistung machen.  Und diese negativen Bewertungen haben es oft in sich.

Von konstruktiver Kritik, bis hin zu maßlosen Beleidigungen. Von kommentarlosen 1 Sterne Bewertungen, bis hin zu abhandlungsähnlichen Auflistungen jedes erlebten Details, mit Nennung des Vor und Nachnamens jedes Mitarbeiters. Oft zielen Kunden mit Negativerlebnissen darauf ab, dem jeweiligen Anbieter schaden zu wollen.

Schnell werden sie merken, dass nur ein einziger Kommentar einen ganzen Shitstorm auslösen kann. Andere Nutzer fühlen sich wie Bratwurstverkäufer Heinz ermutigt, ihren Senf dazuzugeben. Aus einem Kommentar werden Schwadronen von Beleidigungen. In niederen sozialen Schichten wird über ihren Stammbaum diskutiert und sie werden sich fragen, was ihre Oma Beatrix damit zu tun hat.

Aber wie schon erwähnt, wie es auch hier eine hiesige Anzahl erfahrender Experten geben, die darauf wartet, sie zu beraten:

Sie werden nun einen Anwalt damit beauftragen, Nutzer, die ihrer Meinung nach Unwahrheiten verbreiten, abzumahnen und Beiträge auf der entsprechenden Plattform  zu löschen. Die Werbeagentur, die sich ohnehin schon beschäftigen, kümmert sich darum, nicht-löschbare Kommentare mit einem Paket positiver Kommentare zu kompensieren, die man für Geld im Internet kaufen kann. Auch hier ereilt sie ein totaler Expertenrat. Investieren sie da etwas mehr und kaufen sie Kommentare aus Deutschland. Das wirkt authentischer.

Nach dem sie eine Menge weiteres Geld investiert haben, die Apokalypse gerade noch abgewendet haben und mittlerweile mehr Leute beschäftigen, die sich um die Reputation ihres Produktes kümmern, als Leute, die ihr Produkt herstellen, kommen sie für einen Moment zur Ruhe. Glückwunsch: Sie sind einer von vielen.  Ihre heile Welt im World Wide Web ist für einen Moment wieder hergestellt…

Ende Akt II

 

Prolog Akt III

… dachten sie. Denn sie werden – wie schon so oft – andere Erkenntnisse sammeln. So einfach funktioniert das nicht.

Zunächst mal müssen sie eine Sache einsehen. Kein Anwalt und keine Agentur dieser Welt, kann ihr Produkt besser machen. Wenn ihr Produkt schlecht ist und sie es im Internet anbieten, wird es früher oder später jemandem auffallen. ABER: Auch kein noch so schlechter Kommentar kann ihr Produkt schlechter machen, wenn es eigentlich gut ist. Sie können diese Geschichte anders erzählen: Sie können sich mit ihrem Produkt abheben. Seien sie einfach authentisch und gehen sie individuell auf jeden Einzelnen ein. Auch wenn es erstmal viel zu viel erscheint. Angeschnallt: Akt III ist schnell vorbei.

Akt III

Eines Tages stoßen sie auf einen Kommentar, der das Gegenteil von „positiv“ ist und trotzdem wert ist, sich damit näher zu beschäftigen. Sie gehen auf den Verfasser des Kommentares ein und machen das, was sie in einer Welt vor dem Internet gelernt haben.

Sie fragen den unzufrieden Kunden, was ihn unzufrieden gemacht hat. Und das ganze öffentlich. Jeder andere Kunde kann mitlesen. Ein Gespräch entsteht. Sie merken: Dieser Kunde ist kein bloßer „Hater“ (immer noch jungenddeutsch). Der Kunde fühlt sich verstanden. Er erklärt ihnen – wenn nicht schon vorher geschehen – sein eigentliches Problem. Sie bieten dem Kunden an, sich persönlich um dieses Problem zu kümmern, damit es beim nächsten Mal nicht wieder vorkommt und außerdem würde er für seine schlechte Erfahrung entschädigt. Er oder sie willigt ein und wird mit einem positiven Gefühl zurückgelassen, der seinen negativen Kommentar vergessen lässt.

 

Epilog

Eines müssen sie beachten. Akt II und Akt III sind Szenarien, die natürlich hier und da überspitzt sind oder nicht universell anwendbar sind. Ein Allheilmittel gibt es nicht.

Das Eingehen und Auseinandersetzen mit zufriedenen und unzufriedenen Kunden ist ein Vollzeitjob. Es wäre fatal, wenn sie einen ohnehin schon gestressten Mitarbeiter abstellen, der nebenbei noch Kundenrezensionen abarbeiten soll. Dieser Mitarbeiter wird im Zweifel seinen Unmut über die neue Aufgabe an die gleichermaßen verärgerten Kunden kundtun.

Eine Spirale der Negativbewertungen bahnt sich an und bietet maximal Schaulustigen einen Platz des Vergnügens. Das wollen sie verhindern, indem sie jemanden einstellen, der einen kreativen Geist gepaart mit einer ordentlichen Portion Empathievermögen besitzt und gleichzeitig schlagfertig sein kann. Eine Herkulesaufgabe, dessen Bewältigung darüber entscheiden kann, ob sie überlebensfähig in der Savanne der dunklen Seite des Internetmarketings sind. Ich entlasse sie mit einem gelungenen Beispiel, wie man auf einer nicht ungefährliche, aber witzig Art und Weise mit einem Kommentar umgehen kann und verweise auf einen Bericht der Kollegen vom Focus.

Autor: Ali Hassan (37Creative)

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